Folgender LINK führt zu einer schlichten Videodokumentation über eine Fotoinstallation mit dem Titel "Gegen das Vergessen" im Rahmen einer Ausstellung in Wien im Mai 2019. Geschaffen hat das Portraitprojekt der Fotokünstler Luigi Toscano.
Toscano zeigt überlebensgroße Portraits überlebender ehemaliger NS-Verfolgter auf klare, umverschnörkelte Weise. Aber er zeigt sie nicht hinter Museumstüren, sondern weltweit an öffentlichen zentralen Orten, Parks, Plätzen oder Häuserfassaden usw., und erreicht so Menschen als Betrachter im Alltag auf persönliche, emotionale Weise unabhängig von Alter, Herkunft, Sprache oder Bildung. Steigt man in die Betrachtung seiner Portraits ein, macht der Künstler Unsägliches bewusst, indem er die verinnerlichte Vergangenheit der Betroffenen durch deren Portraits im weitesten Sinne nach außen kehrt, vergegenwärtigt und die Portraits zum Betrachter persönlich "sprechen lässt".
Die Ausstellung war seit 2015 von Russland bis in die USA weltweit zu Gast. In Wien trug es sich zu, dass einige seiner Portraits brutal zerschnitten oder mit Hakenkreuzen versehen wurden. Der Schock in der Bevölkerung saß tief, denn wenn es auch nur Einzelne sind, die ihre Vorurteile und ihren Hass gegen Opfer des Nationalsozialismus auf so rohe Weise entäussern, es gibt sie, sie sind nach wie vor unter uns. Daraufhin jedenfalls hatten sich verschiedene Künstler_innen und NGO´s bereit erklärt, die Ausstellung bis zu ihrem Ende Tag und Nacht zu überwachen.
Gewalt entwickelt sich zunächst oft subtil. Anfangs sind es vielleicht Gedanken aus Isolation oder Kränkung heraus, dem folgen entwertende, diffamierende Worte, dann entsprechende Handlungen, und Stück für Stück schreitet die Diskriminierung und Demütigung voran bis zur Entmenschlichung. Wohin das führt, haben uns die 1930er und 1940er Jahre gezeigt.
Die Ausstellung und die Vorkommnisse in Wien offenbaren zwei Gesichter. Eines, das auf sensible Weise zeigt, was in Gemütern verfolgter Menschen vorgeht, wenn sie der faschistoiden Repression ausgesetzt sind. Doch vergessen wir nicht: es gibt noch das andere Gesicht, welches schon deshalb schockiert, weil es uns bewusst macht, dass die Ursachen des Gräuels, Vorurteile, Selbstherrlichkeit, Ignoranz und Hass, nach wie vor unter uns weilen. Dieses Projekt schenkt uns tiefe Einblicke in menschliches Empfinden und Verhalten. Zugleich warnt es uns und gibt ein deutliches gesellschaftspolitisches Zeichen, welches wir nicht missachten mögen!
Erwin Leder