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E.A.R. Leder im Interview mit Kai Müller/Tagesspiegel Berlin

Ein Fiaker mit dem Schauspieler

 

Sie trinken einen Fiaker?

Der Slibowitz in dem Kaffee ist ein sehr klarer, angenehmer Schnaps. Den gönne ich mir jetzt.

In Erinnerung an ein Wiener Kaffeehaus?

Ich hasse Wien.

Das scheint eine sehr wienerische Angewohnheit zu sein.

Ich mag Wien auch sehr. Dort ersäuft und erstickt man in der Konvention. Ohne Feinde geht gar nichts, das ist klar. Nirgends. Aber dieses ständige Gefallenmüssen, dieses Opportune und die permanente Angst, nicht zu gefallen, das ist furchtbar.

Sie lieben die Außenseiter?

Ich kann sogar Einzelgänger lieben. Die sind halt gefährlicher.

Inwiefern?

Der Unterschied zwischen Außenseitern und Einzelgängern ist bei Elefanten sofort sichtbar: Der Einzelgänger ist ein gefährlicher Bulle, unberechenbar und heimtückisch. Als Mensch ist er ein verschlagener Charakter, jemand, der zu einem Eigenbrödler wird. Wobei Karl Valentin demonstriert hat, dass ein Einzelgänger sehr wohl eine Existenzberechtigung besitzt. Manchmal wird er zu einem Außenseiter, weil er unliebsame Wahrheiten ausspricht.

Sie haben große Ähnlichkeit mit Valentin.

Das auch noch.

Es überrascht Sie?

Es war mir zu Beginn meiner Laufbahn eher hinderlich. Aber jetzt habe ich mich damit abgefunden. Je besser man einen Autor versteht und je mehr Übereinstimmungen man entdeckt, dester stärker liebt man ihn. Ich habe mir mein Gesicht nicht ausgesucht, aber ich bin ebenso akribisch und skurril veranlagt wie er.

Sie geben sich der Lächerlichkeit preis?

Die Wahrheit ist lächerlich. Wer glaubt die Wahrheit? Niemand. Sie glauben alles, nur nicht die Wahrheit. Und was der Lächerlichkeit dann die Krone aufsetzt, ist der Ernst, mit dem ein Mensch seine Vision verfolgt. Ein tragischer Zustand. Man liebt die Menschen, aber sie sehen in einem eine lächerliche Figur.

Muss man ein enttäuschter Humanist sein, um Dostojewskis "Traum eines lächerlichen Menschen" auf der Bühne darzustellen?

Man muss ein Humanist sein. Es ist ganz normal für einen Humanisten, dass er enttäuscht worden ist, dass er das Leiden kennt. Ich bin ein Trottel, indem ich dem Unsinnigen nachtrotte. Da muss ich eben leiden. Geschieht mir recht. Schicksal ist Charakter.

In Wolfgang Petersens Film "Das Boot" verkörperten sie Johann, das Gespenst. Eine Rolle, der das Leiden im Gesicht geschrieben war.

Aber ich hätte die panische Angst, die diesen erfahrenen Veteranen plötzlich übermannt, am eigenen Leib nicht erleben müssen.

Berühmt wurden Sie nicht durch die Rolle.

Ja, das ist wahr. Ich bin ein Querulant, wenn Sie so wollen. Die Preise, die ich für meine Arbeit gewonnen habe, bewirkten lediglich, dass ich jahrelang nicht mehr beschäftigt wurde. Sie sehen gewiss manche Parallele zu Dostojewski. Ich bin ein Grenzgänger, der das Lächeln vergisst, wenn er glücklich ist. In Dostojewskis Figur habe ich dieses Motiv wiedergefunden: Er kommt zu dem Schluss, dass er das Paradies nicht herstellen kann, weil er die richtigen Worte vergessen hat. Darauf sage ich nichts mehr.

 

Anläßlich: "Der Traum eines lächerlichen Menschen"

Premiere am 9. Januar in der Brotfabrik Bühne, Prenzlauer Promenade 3 (Weißensee), 20.30 Uhr.

Das Gespräch führte Kai Müller.